Der kassenärztliche Bereitschaftsdienst "116 117" möchte irgendwann die Barrieren in seiner App beheben.
Ich habe der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KV) auf Anregung einer Mastodon-Userin einige Barrieren in der App des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes gemeldet, mit der sich Menschen zu den ärztlichen Praxen und Bereitschaftsdiensten informieren können. Ebenfalls kann man sich über die App Termine bei Fachärzt*innen vermitteln lassen. Allerdings ist schon das Onboarding hier für Screenreader-Nutzende nicht sinnvoll benutzbar und die gesamte Erfahrung in der App ist ebenfalls mangelhaft. Die KV sagt, dass sie das Onboarding-Problem nicht reproduzieren konnten - weil ich so nett bin, habe ich das übernommen und konnte das Problem natürlich auf mehreren verschiedenen Geräten wie gemeldet feststellen. Insgesamt antwortet man mit einer nichtssagenden Standardantwort:
"Wir verstehen die Dringlichkeit dieser Angelegenheit und möchten Sie darüber informieren, dass wir mit Hochdruck an der Behebung der genannten Probleme arbeiten. Ihre Rückmeldung ist für uns äußerst wertvoll, und wir setzen alles daran, sicherzustellen, dass unsere App für alle Nutzer zugänglich ist. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die vollständige Optimierung der Barrierefreiheit ein laufender Prozess ist, für den wir noch Zeit benötigen werden."Nachdem ich gebeten wurde, weitere Details zu liefern, habe ich der KV zusätzlich eine Bildschirmaufnahme des Problems und Informationen zu den von mir genutzen Geräten zur Verfügung gestellt. Eine weitere Rückmeldung und Informationen zur Behebung habe ich nicht erhalten.
Das Innenministerium interessiert sich nicht für digitale Barrierefreiheit und legt Prüfberichte in die Ablage P.
Das Bundes-Innenministerium (BMI) listet in seiner "Erklärung zur Barrierefreiheit" von bmi.bund.de sechs Barrieren - und hat keine Pläne zur Verbesserung. Verbesserungen soll es zum nächsten Relaunch des Angebots geben - wann der ist, wissen sie nicht. In einer Antwort auf eine Informationsfreiheits-Anfrage bei dem Portal "FragDenStaat.de" spricht das BMI von einer regelmäßigen Testung auf eine Konformität mit der Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV), die dabei anfallenden Prüfberichte werden aber durch das BMI nicht archiviert und können nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.
In Sachsen gab es 2023 nur zwei Durchsetzungsverfahren zur digitalen Barrierefreiheit. Keins davon erfolgreich.
Der Landesbeauftragte für Inklusion der Menschen mit Behinderungen in Sachsen hat im Jahr 2023 zwei Durchsetzungsverfahren zur digitalen Barrierefreiheit durchgeführt. In beiden geht es um die Barrierefreiheit von jeweils einem PDF-Dokument - konkreter um die Novelle des sächsischen Hochschulgesetzes und um einen "Antrag auf eine Zuwendung für Mobilität für Menschen mit Behinderung". Beide laufen schon seit 7 und 2 Monaten. Angesichts der Tatsache, dass es sich hier um Kleinigkeiten handelt, ist das hier wirklich ein tolles Beispiel dafür, dass diese Durchsetzungsverfahren keinen Wirkung haben, Diskriminierung qua Gesetz einfach weiter bestehen darf und sich niemand dafür interessiert.
Den Gesetzestext für das "Barrierefreiheits-Stärkungsgesetz" (BFSG) gibt es nicht barrierefrei.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist die einzige Stelle des Bundes, die den vollständigen Gesetzestext zum Barrierefreiheits-Stärkungs-Gesetz anbietet. Allerdings nur als PDF-Datei mit zweispaltigem Layout. Das ist, gerade bei der Komplexität eines Gesetzestextes, für eine erhebliche Anzahl von Menschen nicht barrierefrei. Am 15. Januar habe ich diesen Umstand über die "Barriere melden"-Funktion der Website des BMAS gemeldet und um eine einspaltige Variante im HTML-Format gebeten. Meine Kontaktaufnahme wurde, entgegen der gesetzlichen Verpflichtung aus dem Behinderten-Gleichstellungsgesetz (BGG) nicht innerhalb eines Monats beantwortet. Eine Eingangsbestätigung habe ich nicht erhalten. Das Gesetz ist weiterhin nur über die Seite eines Drittanbieters mehr oder weniger barrierefrei abrufbar - ein Zustand, der so nicht sein darf.
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit macht jetzt Alternativtexte
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) betreibt unter www.lebensmittelwarnung.de ein Portal, auf dem alle Lebensmittelrückrufe bundesweit gesammelt und archiviert werden. Ich habe dem BVL insgesamt 8 Barrieren auf dem Portal gemeldet, von denen zumindest eine einzige für zukünftige Meldungen behoben werden soll: Die Produktfotos sollen mit Alternativtexten ausgestattet werden! Die anderen gemeldeten Barrieren sollen mit einer Neu-Entwicklung des Portals, die laut BVL im Sommer 2024 online gehen wird, ebenfalls nicht mehr auftauchen. Obwohl teilweise nur sehr kleine Änderungen gemacht werden müssten, um auch die anderen gemeldeten Barrieren zu beheben, beruft man sich auf "technische Gründe" als Erklärung dafür, warum das nicht passieren kann. Vermutlich gibt es aber einfach keine eigenen Entwicklungskompetenzen für das Portal, die tatsächlich daran arbeiten könnten. Ich habe außerdem gemeldet, dass eine Erklärung zur Barrierefreiheit fehlt, diese aber gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Erklärung möchte man nun noch nachliefern und unter "Hinweise zum Portal" hinterlegen. Ich bin gespannt, welche Barrieren dort in welcher Form aufgelistet werden.
Update: Die Erklärung zur Barrierefreiheit bei lebensmittelwarnung.de existiert inzwischen - deren Inhalt ist im Wesentlichen auch der meiner Meldung, aber weniger detailliert.
Mastodon auf iOS behandelt die Meldung einer indirekten Barriere sehr vorbildlich
Das sieht man bei indirekten Barrieren sonst nur selten, aber das Mastodon-Entwicklungsteam, das den iOS-Client betreut, hat innerhalb weniger Tage eine relativ schwerwiegende, aber dennoch indirekte Barriere abgebaut, nachdem ich drei Monate nach der initialen Meldung einer anderen Person auf die Wichtigkeit des Fixes hingewiesen habe. Es wird mit dem Update 2024.01 dann möglich sein, Alternativtexte bei der Bearbeitung von Posts ebenfalls zu bearbeiten oder neu hinzuzufügen. Dem Voraus ging ein Thread mit der Bundestagsabgeordneten Anke Domscheidt-Berg, die aufgrund von Zeitmangel gerne Alternativtexte nachträglich einpflegen würde, was durch die App aber nicht möglich war. Dass das Feature nun vorhanden ist, steigert die Zugänglichkeit für sämtliche Fediverse-Nutzer*innen, auch weit über die Mastodon iOS-App hinaus. Danke für diese vorbildliche Handlung!
www.sachsen.de ist komplett kaputt
Die Startseite von www.sachsen.de ist nun seit mindestens dem Zeitpunkt meiner Meldung vor inzwischen über drei Wochen nicht benutzbar, wenn man Safari und VoiceOver benutzt. Ich gehe davon aus, dass das Problem schon einige Jahre existiert. Bei der sächsischen Staatskanzlei wusste man zuerst nichts von dem Problem, die dzb lesen konnte es aber reproduzieren. Es wurde an die zuständige Entwicklungsabteilung kommuniziert, das Problem bitte schnell zu beheben, und auch ein Landtagsabgeordneter hat sich bei mir gemeldet und wollte der Staatskanzlei etwas Druck machen. Bisher ist aber nichts passiert und die Seite bleibt weiterhin einfach bestehend aus schwarzen Quadraten ohne Informationen. Es bleibt weiter abzuwarten, wann sich blinde Menschen wieder über Neuigkeiten und die Verwaltung aus Sachsen informieren können. Dabei hat man mit dem Web-Angebot sonst eigentlich eine gute, größtenteils barrierefreie Basis.
Update: Stand 31. Januar 2024 funktioniert die Startseite nun auch wieder mit Safari und VoiceOver! Eine Mitteilung darüber habe ich bisher nicht erhalten.
Die E-Rezept App der Gematik möchte verbliebene Barrieren abbauen. Irgendwann dann mal.
Weil das E-Rezept jetzt Verpflichtend ist, also sehr viele Leute jetzt die E-Rezept-App benutzen möchten, habe ich mir die Barrierefreiheit der iOS-Variante angesehen. Grundsätzlich war das schon ziemlich gut für Screenreader-Nutzende, und vier bestehende Barrieren wie Fokusfallen oder wenige unbeschriftete Schaltflächen habe ich der Gematik gemeldet. Fünf Tage später gab es die Rückmeldung, dass man für alle Reports Bug-Tickets für das Entwicklungsteam angelegt habe. Das ist schon mal schön, die Bugs sind nun präsent. Jetzt heißt es abwarten, ob diese Tickets auch entsprechend priorisiert und die Fixes zeitnah ausgerollt werden.
Update: Über einen Monat und zwei Updates später wurden keine Verbesserungen vorgenommen. Ist wohl leider auch hier nicht so wichtig, dass behinderte Menschen eine fehlerfreie App bekommen, in der sie alle Infos erhalten können.
In der Hochwasser-Krise können Blinde keine Informationen bekommen
In allen drei relevanten Bundesländern (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen) sind die Pegelstände nicht barrierefrei verfügbar, zu dem Ausmaß dass blinde Menschen und manche Andere überhaupt nicht auf die Daten zugreifen können. Kurzfristig konnte keine der verantwortlichen Stellen die notwendigen Verbesserungen einführen. Auch plant man manchmal gar nicht, überhaupt etwas zu tun. Bei Netzpolitik.org durfte ich dazu einen Text veröffentlichen und dem Thema damit sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen.
Die diskriminierende Zufriedenheitsbefragung der Deutschen Bahn wird erkennbar! Oder... lieber doch nicht.
Die DB Fernverkehr AG diskriminiert blinde Menschen, indem sie ihre Zufriedenheitsbefragung absichtlich nicht barrierefrei anbietet, um von Menschen mit Behinderung unterschiedliche Informationen zu erhalten. Und sie geht davon aus, dass blinde Menschen für weniger Fragen die doppelte Zeit benötigen - und auf jeden Fall im Zug und am Bahnhof Unterstützung durch das Personal brauchen. Nach einer Presse-Anfrage von mir geloben sie, dieses Verhalten in Zukunft wenigstens transparent zu machen und auch, dass die reguläre Umfragevariante zukünftig ebenfalls vollständig barrierefrei wird.
Update: Die DB hat die angekündigte Veränderung an der Umfrage vorgenommen. Allerdings nicht so, wie man sich das erhofft - sie lügen jetzt nämlich, statt die Information gar nicht zu geben. Sie schreiben: "[Die barrierefreie Version] beschränkt sich auf die Kernfragen der Umfrage". Das ist nicht wahr.
Zum Welt-Braille-Tag sind über die Hälfte der Inhalte nicht für blinde Menschen zugänglich.
Auf der Plattform LinkedIn wurden zum Welt-Braille-Tag am 4. Januar 2024 wieder viele Bilder von Unternehmen gepostet, um sich selbst als besonders fortschrittlich, divers und inklusiv zu bewerben. Ausgerechnet zu diesem Anlass haben über die Hälfte der Posts auf dem Hashtag #weltbrailletag keinen Alternativtext, wodurch sie für blinde Nutzende unzugänglich sind. Bei jedem einzelnen Post einen Alternativtext einzufordern ist unmöglich - man wäre ewig beschäftigt und die Erfahrung zeigt, dass man selten belohnt wird. Insoweit hier nur eine Dokumentation des alltäglichen Diversity-Washings.
Und um es mit den Worten einer befreundeten Person zu kommentieren: Ich verstehe nicht, wie neurotypische Menschen diese kognitive Dissonanz nicht erkennen.
Nextcloud bezeichnet Barrierefreiheit als grundlegendes Menschenrecht
Nextcloud hat auf X/Twitter und Mastodon eine diskriminierende Umfrage geteilt, in der sie die Entwicklungs-Prioritäten für 2024 abfragen wollten. Mit dabei: Die Barrierefreiheit. Sie tritt an gegen tolle Features wie erweiterte Sharing-Möglichkeiten oder schnellere Synchronisationszeiten. Nur: Bei der Barrierefreiheit handelt es sich um ein Menschenrecht, und dieses kann man nicht anderen Features gegenüberstellen. Schon gar nicht in einer weitestgehend technischen Community. Mir persönlich gibt das den Eindruck, dass ich eine unerwünschte Nutzerin bin und man meine Teilhabe deswegen nach Belieben mit anderen Features austauschen kann. Nach vielen Community-Kommentaren (für einige davon war ich selbst sicher nicht ganz unschuldig) hat sich Nextcloud entschuldigt - zwar nicht ganz so, wie ich es mir gewünscht hätte, aber es ist immerhin etwas, worauf man in Zukunft verweisen können wird.
Gleichzeitig habe ich aus der Open Source-Community selbst einige Kommentare erhalten, ich würde ihre Barrierefreiheitsbestrebungen negativ darstellen und pauschalisieren. Möglich - aber ich sprach aus meiner persönlichen Erfahrung heraus und habe ein typisches Muster kommentiert, das aus den Kommentaren bei Nextcloud hervorgegangen ist: "Dir passt etwas nicht? Mecker nicht und reiche doch selbst einen Pull Request ein!"
Das Barrieren-Logbuch 2024
Hallo! Ich bin Casey, Beraterin für digitale und mediale Barrierefreiheit und selbst blind. Ich habe mir für 2024 als Neujahrsvorsatz fest vorgenommen, in diesem Jahr deutlich aktivistischer zu sein. Im letzten Jahr bin ich neben meiner alltäglichen Arbeit auf so viele Barrieren gestoßen, bei denen ich überzeugt bin, dass sie behoben werden müssen, um allen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen - ich habe mich aber oft nicht getraut, öffentlich darüber zu sprechen. In 2024 möchte ich das ändern und einige Barrieren oder (ggf. subtile) Diskriminierungen abbauen und darüber öffentlichkeitswirksam berichten. Auf dieser Seite gibt es eine Übersicht aller Dinge, die ich in meiner Freizeit und unentgeltlich gemeldet habe. Es gibt leider so viele Barrieren im Web und in Apps, dass es unmöglich ist, alle zu melden. Deshalb mache ich das hier auf best-effort-Basis. Viel Spaß beim Stöbern - und macht eure Sachen barrierefrei!